Juden sorgen sich um Sicherheit Wie man jüdischen Menschen in Ostfriesland helfen kann

Nikola Nording
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Von Nikola Nording
| 08.11.2023 19:01 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 6 Minuten
Juden in Deutschland haben derzeit wieder größere Sorge, offen eine Kippa zu tragen. Foto: Hannes P. Albert/dpa
Juden in Deutschland haben derzeit wieder größere Sorge, offen eine Kippa zu tragen. Foto: Hannes P. Albert/dpa
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Die Zahl von antisemitistischen Vorfällen steigt, auch in Ostfriesland werden Fälle geprüft. Wie kann man Jüdinnen und Juden seine Solidarität vermitteln? Das raten Experten.

Leer - Dass Jüdinnen und Juden in Deutschland wieder Angst haben, das ist für Albrecht Weinberg kaum noch in Worte zu fassen. „Es ist fürchterlich. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das ein zweites Mal in meinem Leben erleben muss“, sagt der Leeraner Holocaust-Überlebende. Er kann es einfach nicht verstehen: „Wir sind deutsche Staatsbürger, genau wie alle anderen auch“, sagt er. Trotzdem hätten Menschen jüdischen Glaubens Angst, ihre Religionszugehörigkeit offen zu zeigen und müssten besonders geschützt werden – auch Weinberg. „Die Polizei hat sich bei mir gemeldet“, sagt er. Die Beamten hätten ein paar Sicherheitsfragen abgeklärt.

Dabei mache er sich um sich selbst wenig Sorge: „Ich wohne hier in Leer sehr geschützt. Außerdem bin ich alt. Aber ich weiß, dass ich nicht alleine bin und andere Jüdinnen und Juden in Gefahr sind“, so Weinberg. Das Thema, gerade so kurz vor dem Jahrestag der Pogrome am 9. November 1938, wühlt Weinberg auf. Damals wurde auch seine Familie ins Leeraner Schlachthaus getrieben. Er sah seine Eltern nie wieder. Nun haben Jüdinnen und Juden wieder Angst: „Ich bin seelisch kaputt“, sagt er.

Albrecht Weinberg lebt in Leer, ist Jude und überlebte den Holocaust. Foto: Ortgies
Albrecht Weinberg lebt in Leer, ist Jude und überlebte den Holocaust. Foto: Ortgies

Angriff auf Israel

Gut vier Wochen ist es her, dass die Terror-Miliz Hamas einen blutigen Angriff auf Israel gestartet hat. Am 7. Oktober töteten die Terroristen mehr als 1400 Menschen und entführten rund 200 Geiseln. Seitdem herrscht Krieg in der Region, besonders im Gazastreifen, worunter auch die palästinensische Zivilbevölkerung leidet. Es gab nach der Attacke viele Solidaritätsbekundungen, doch „gleichzeitig wächst angesichts der Terrorverherrlichung und Legitimierung der Morde und Entführungen von Jüdinnen und Juden auf Demonstrationen in Deutschland und in den sozialen Netzwerken auch die Sorge vor Antisemitismus in Deutschland weiter“, schreibt der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias). Zwischen dem 7. und 23. Oktober kam es in Niedersachsen zu 34 antisemitischen Vorfällen. Auch in Leer werden derzeit von den Behörden solche Vorfälle geprüft.

Jüdischem Leben begegnen

Doch wie können Menschen in Ostfriesland dieser Entwicklung begegnen, ihr entgegentreten und so Jüdinnen und Juden das Gefühl von Sicherheit geben? Für Albrecht Weinberg ist klar: Es geht nur über Taten. „Es wird so viel geredet, aber so wenig gemacht“, sagt er. Jüdisches Leben gehöre zu Deutschland dazu, das müsse auch gesehen werden. „Dort wo früher in Leer die Synagoge stand, ist heute ein Schutthaufen zu sehen. Das kann doch nicht sein“, sagt er. Es müsse für ihn nicht viel sein: „Ein Schild reicht doch. Nur, dass die Leute sehen: Hier war mal ein Gotteshaus“, sagt er.

Wichtig ist ihm auch das klare Bekenntnis zu Israel: „Wir wurden angegriffen, wir verteidigen uns. Trotzdem hört man: Der Jude ist an allem schuld“, sagt Weinberg. Das wühle den 98-Jährigen auf, mache ihn sogar sehr wütend. „Alle Welt gibt Israel die Schuld“, sagt er.

Susanne Bracht leitet die Ehemalige jüdische Schule in Leer. Archivfoto: Ortgies
Susanne Bracht leitet die Ehemalige jüdische Schule in Leer. Archivfoto: Ortgies

Susanne Bracht, Leiterin der Begegnungsstätte Ehemalige jüdische Schule, rät deswegen zur umfassenden Information zum Thema Antisemitismus und auch der Situation in Israel. „Der Konflikt ist sehr komplex“, sagt sie. Doch klar sei: „Judenhass ist keine Meinung.“ Man müsse die Sache beim Namen nennen und solchen Aussagen klar entgegentreten und sich nicht wegducken. Das höre sich einfach an, sei aber in bestimmten Situationen gar nicht so einfach. Derzeit spreche sie viel mit Lehrkräften, die in ihren Klassen damit konfrontiert würden. Ein bewährtes Mittel sei dabei die Auseinandersetzung mit dem Holocaust und ein Besuch von Gedenkstätten. Doch das sei nur ein Weg. Auch die Begegnung mit dem jüdischen Leben der Zukunft sei gut und wichtig für die Aufklärung. Man könne zum Beispiel die Synagogen in Oldenburg oder Groningen besuchen, um mit jüdischem Leben in Kontakt zu treten oder Angebote in der Ehemaligen Jüdischen Schule besuchen.

Parolen entgegentreten

Auch Gitta Connemann aus Hesel, Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe, hat derzeit viel Kontakt zu Jüdinnen und Juden und beobachtet: Sie leiden nicht unter Paranoia. „Jüdinnen und Juden erleben täglich Angriffe. Ihre Haustüren werden mit Davidsternen markiert. Es werden Molotov-Cocktails auf Synagogen geworfen. ,Israel brenne‘ wird auf unseren Straßen skandiert. Auf Schulhöfen fallen Sätze wie ,Juden sind Schweine, keine Menschen.‘ Deutschland wird von einer Welle des Judenhasses überschwemmt. Deshalb gehen unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Deckung. Sie haben Angst - um ihre Kinder, ihre Sicherheit, ihre Zukunft“, schreibt Connemann auf eine Anfrage dieser Zeitung. Für sie ist Solidarität in Taten und nicht nur in Worten das beste Mittel, um Haltung zu zeigen. „Jeder von uns muss Antisemitismus entschlossen entgegentreten. Überall. Jederzeit. Jeder kann Judenhass bekämpfen. Wer israelische Flaggen herunterreißt, verbrennt, ,From the River to the sea‘ ruft, T-Shirts mit juden- oder israelfeindlichen Parolen trägt, muss angezeigt werden“, sagt sie. Mit dem Satz ist gemeint, es solle ein freies Palästina geben auf einem Gebiet vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer – dort wo sich jetzt Israel befindet.

Gitta Connemann ist stellvertretende Vorsitzende der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe im Bundestag. Foto: Büro Connemann
Gitta Connemann ist stellvertretende Vorsitzende der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe im Bundestag. Foto: Büro Connemann

Connemann rät, an Demonstrationen und Kundgebungen für Israel teilzunehmen. Außerdem könne jeder Flagge zeigen, wie zum Beispiel in ihrem Heimatort Hesel. „Jeder von uns kann durch ein Symbol wie z.B. einen kleinen Sticker mit der deutsch-israelischen Flagge oder eine Kette mit einem Davidstern seine Solidarität zeigen“, sagt Connemann, die selbst auch eine Kette mit dem Davidstern trägt. Die CDU-Abgeordnete spricht aber auch ein politisches Problem an: „Deutschland hat ein strukturelles Problem. Die Migrationspolitik ist gescheitert. Deutschland hat Einwanderern nicht mehr deutlich gemacht, was wir von ihnen erwarten. Dazu muss das Bekenntnis zur Existenz Israels und dem Abschwören an Antisemitismus gehören. Wer dieses Bekenntnis nicht abgeben will, darf zukünftig nicht eingebürgert werden“, so Connemann.

Aufkleber melden und abreißen

Kata Miszkiel-Deppe, Projektleiterin beim Rias Niedersachsen, empfiehlt, antisemitische Vorfälle zu melden. „Dabei geht es nicht nur um strafrechtlich relevante Sachen, sondern auch um alltäglichen Antisemitismus“, so Miszkiel-Deppe. Sticker, Aufkleber oder Graffiti mit antisemitischen Hinweisen sollten fotografiert und Rias gemeldet und dann konsequent entfernt werden, sagt sie.

Wolfgang Kellner ist Vorsitzender der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Ostfriesland. Foto: Ortgies
Wolfgang Kellner ist Vorsitzender der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Ostfriesland. Foto: Ortgies

Flagge zeigen und Solidarität bekunden, zum Beispiel bei Kundgebungen wie kürzlich auf dem Liesel-Außen-Platz in Leer, seien das Wichtigste, meint auch Wolfgang Kellner. Den Schutz übernähmen die Sicherheitsbehörden.

Von einer schönen Geste habe ihm Rabbiner Gábor Lengyel bei einer Veranstaltung in Leer erzählt. „Am Freitag, als dem Vorabend des Schabbat, bilden Nicht-Juden einen Ring um Synagogen, um zu zeigen, dass die betenden Jüdinnen und Juden von ihnen beschützt werden. Diese Geste hat dem Rabbiner sehr gefallen“, sagt Kellner.

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