OZ-Volontärin auf See Ein Tag an Bord bei den Seenotrettern auf Borkum

Nora Kraft
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Von Nora Kraft
| 07.12.2023 17:04 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 6 Minuten
Zurück im Hafen macht Tilman Hellberg die "Hamburg" fest. Foto: Kraft
Zurück im Hafen macht Tilman Hellberg die "Hamburg" fest. Foto: Kraft
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Rund um die Uhr leben und arbeiten die Seenotretter auf dem Rettungskreuzer „Hamburg“ auf Borkum. Jederzeit muss die Besatzung einsatzbereit sein. Wir haben sie einen Tag lang begleitet.

Borkum - Es ist diesig an einem der letzten Novembertage auf Borkum. Der graue Himmel setzt sich farblich kaum von der See ab, die Bäume am Rand des Schutzhafens tragen nur noch wenige Blätter. Irgendwo schreit eine Möwe, ansonsten ist es still im Hafen, der etwa fünf Gehminuten vom Fähranleger entfernt liegt. Beinahe geräuschlos schwappen leichte Wellen gegen die Ponton-Brücke II. An deren Ende liegt der Seenotrettungskreuzer „Hamburg“. In der trüben Umgebung fällt der Blick schon von weitem auf den orange-roten SAR-Schriftzug am Bug des Schiffs. Von außen deutet nichts darauf hin, dass im Inneren vier Männer ihrer Arbeit nachgehen, während der Kaffee in der Kombüse kocht und das Radio läuft.

In dieser Woche leben und arbeiten die Nautiker Michael Haack, Stephan Borowski, Tilman Hellberg und der Schiffsmaschinist Wilm Willms auf der „Hamburg“. In der Messe, dem Wohn- und Aufenthaltsraum der Besatzung, sitzen sie gegen 10 Uhr an einem rechteckigen Tisch, vor ihnen stehen dampfende Kaffeetassen. „Wir führen hier ein ganz normales WG-Leben“, sagt Stephan Borowski, der stehend mit Tasse in der Hand am Türrahmen lehnt.

Die Deutsche Gesellschaft zu Rettung Schiffbrüchiger

Der Seenotrettungskreuzer „Hamburg“ gehört mit dem Tochterboot „St. Pauli“ zur Flotte der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS). Die Seenotretter sind zuständig für den Such- und Rettungsdienst im Seenotfall in den deutschen Gebieten von Nord- und Ostsee. Die meisten der etwa 1000 Seenotretter sind Freiwillige. Ausschließlich spendenfinanziert, beschäftigt die Gesellschaft darunter 180 Festangestellte. Die DGzRS unterhält rund 60 Rettungseinheiten, die an 55 Standorten von Borkum im Westen bis zur Pommerschen Bucht im Osten stationiert sind.

Wohngemeinschaft auf Zeit

Die vier Seenotretter sind Festangestellte der DGzRS. Auf Borkum erstreckt sich ihr Einsatzgebiet über den westlichsten Teil der deutschen Bucht. Die Seenotretter der DGzRS arbeiten in 14-Tage-Schichten. Das bedeutet, dass sie zwei Wochen am Stück an Bord im Dienst sind. Anschließend haben sie zwei Wochen frei. Alle sieben Tage ist Schichtwechsel. Dann verlassen zwei Retter das Schiff und zwei andere übernehmen den Dienst.

Seit drei Jahren gehört die „Hamburg“ zur Flotte der Seenotretter. Foto: Münch
Seit drei Jahren gehört die „Hamburg“ zur Flotte der Seenotretter. Foto: Münch

Sie dürfen in dieser Zeit das Schiff zwar verlassen, müssen aber bei einer Alarmierung innerhalb von fünf Minuten zurück an Bord sein. „Die Entfernung reicht für eine kleine Laufrunde am Hafen“, sagt Wilm Willms. Der Hauptarbeitsplatz des 58-Jährigen befindet sich im Maschinenraum der „Hamburg“. „Achtung, nicht den Kopf stoßen und die Stufen rückwärts nehmen“, warnt der Mechaniker vor dem Weg in den unteren Teil des Schiffs.

Das Tochterboot „St. Pauli“ ist etwa acht Meter lang. Innerhalb von fünf Minuten können die Seenotretter das Boot ins Wasser lassen. Foto: Münch
Das Tochterboot „St. Pauli“ ist etwa acht Meter lang. Innerhalb von fünf Minuten können die Seenotretter das Boot ins Wasser lassen. Foto: Münch

Arbeiten im Maschinenraum

Viel Bewegungsfreiheit bietet der Maschinenraum des 28 Meter langen Rettungskreuzers nicht. Inmitten der verbauten Technik, der Selbstaufrichter (siehe Glossar) wird von zwei MTU-Dieselmotoren mit einer Leistung von 3916 PS angetrieben, steht eine kleine Werkbank für Wartungs-und Reparaturarbeiten. Willms ist für Kontrollen von technischen Geräten, Prüfen des Öltanks und die Gerätewartungen zuständig. „Es gehört zu den Aufgaben der Seenotretter dazu, die Schiffe in Stand zu halten“, sagt der 58-Jährige. Wartungsintervalle müssten eingehalten werden, das erfordere Engagement.

Im Maschinenraum der „Hamburg“ befindet sich eine Werkbank für Wartungs- und Reparaturarbeiten. Foto: Münch
Im Maschinenraum der „Hamburg“ befindet sich eine Werkbank für Wartungs- und Reparaturarbeiten. Foto: Münch
Aber so, wie er auch das Schiff steuern könne, seien die anderen Besatzungsmitglieder in der Lage, Arbeiten im Maschinenraum durchzuführen. Willms kommt ursprünglich von Spiekeroog. „Da ist man von Grund auf wasseraffin“, sagt er. Bevor sich der gelernte Maschinenbauer zum Seenotretter ausbilden lies, hatte er ein Yachtservice-Unternehmen geführt. Vor seiner Festanstellung begann er vor knapp 20 Jahren als Freiwilliger bei den Seenotrettern in Bremerhaven. „Das war mir ein Bedürfnis“, sagt Willms. Der Drang, helfen zu wollen, müsse von Innen heraus kommen.
Der Maschinenraum ist der Hauptarbeitsplatz von Wilm Willms. Foto: Münch
Der Maschinenraum ist der Hauptarbeitsplatz von Wilm Willms. Foto: Münch

Rettungsleitstelle See in Bremen koordiniert Einsätze

Während Willms flink über die schmalen Leitersprossen aus dem Maschinenraum heraussteigt, ist im Eingangsraum des Schiffs die Stimme von Michael Haack zu hören. Dumpf schallt sie aus dem Deckshaus nach unten. Der Vormann telefoniert mit der Rettungsleitstelle See in Bremen. Dort werden rund um die Uhr der internationale Notrufkanal 16 überwacht und die Rettungseinsätze koordiniert. Bei den Kollegen in der Leitstelle meldet Haack eine kleine Kontrollfahrt an diesem Vormittag an.

Die Zeichnung eines Seenotrettungskreuzers der 28-Meter-Klasse zeigt von oben im Uhrzeigersinn: Brücke, Bordhospital (die Ausstattung ist etwa vergleichbar mit der eines Krankenwagens an Land), Kombüse und Messe im Deckshaus, darunter die Kammern, WC, Maschinenraum und Tochterboot. Grafik: Die Seenotretter – DGzRS/Thorsten Eschstruth
Die Zeichnung eines Seenotrettungskreuzers der 28-Meter-Klasse zeigt von oben im Uhrzeigersinn: Brücke, Bordhospital (die Ausstattung ist etwa vergleichbar mit der eines Krankenwagens an Land), Kombüse und Messe im Deckshaus, darunter die Kammern, WC, Maschinenraum und Tochterboot. Grafik: Die Seenotretter – DGzRS/Thorsten Eschstruth

Wenige Minuten später steuert er die „Hamburg“ dann aus dem Borkumer Schutzhafen raus auf die See. Neben den Einsatzfahrten finden in unregelmäßigen Abständen noch sogenannte Kontrollfahrten statt. Dabei vertiefen die Seenotretter ihre Revierkenntnisse oder überprüfen technische Einrichtungen. Ohne Grund fahren die Seenotretter nicht raus.

Vormann Michael Haack beobachtet das Radarbild. Foto: Kraft
Vormann Michael Haack beobachtet das Radarbild. Foto: Kraft

Entspannte Stimmung an Bord

Haack sitzt nun am linken der beiden Steuerstände vor dem Radarbild. Verschiedene Funkanlagen, Mess- und Navigationssysteme sind in dem hochtechnisierten Schiff auf der Brücke verbaut. Trotz modernster Geräte: einen traditionellen Kartentisch gibt es zusätzlich auf der Brücke – für alle Fälle. Wilm Willms hat an einem der beiden hinteren Plätze auf der Brücke Platz genommen. Von dort kann der Maschinist die gesamte Maschinenanlage des Schiffs überwachen und schalten. Die Seeretter bewegen sich entspannt und routiniert auf dem Schiff. Dabei strahlen sie eine tiefe Ruhe aus. So ist spürbar, dass sie mit dem Rettungskreuzer und auch untereinander vertraut sind.

Kaum fährt die „Hamburg“ an der verlassenen Seehundbank vor Borkum vorbei, prasseln Regentropfen gegen die Fensterscheiben des Deckshauses. Die Scheibenwischer surren leise, auf der Brücke ist es gemütlich warm.

Auf der Brücke sind mehrere Navigationsgeräte, wie ein Radar (links im Bild), verbaut. Foto: Kraft
Auf der Brücke sind mehrere Navigationsgeräte, wie ein Radar (links im Bild), verbaut. Foto: Kraft
An Deck tragen die Seenotretter Rettungswesten über ihrer Arbeitskleidung. Bei einem Gang um den Decksaufbau wird deutlich, wie sehr das Schiff allein bei geringem Wellengang schaukelt. Für eine unerfahrene Person ist es kaum möglich, einen festen Stand zu bewahren. In diesem Moment ist nur zu erahnen, wie unabdingbar die Sicherungsschiene für die Besatzung ist. Diese verläuft rund um den Aufbau des Rettungskreuzers. Bei stürmischer See hängen sich die Seeleute über eine sogenannte Lifeline, also eine Rettungsleine, in die Schiene ein.

Hochsaison der Seenotretter im Sommer

Neben der Suche nach und der Rettung von Schiffbrüchigen zählen Krankentransporte zum Festland oder technische Hilfeleistungen zu den Aufgaben der Seenotretter. „Das sind immer schöne Momente; wenn wir zum Beispiel eine Yacht aus der Brandung ziehen und sich im Nachhinein die Leute freuen“, sagt Willms. Da wisse er, er mache „genau das Richtige“. „Technische Hilfeleistungen sind unsere häufigsten Einsätze“, stellt Michael Haack fest. Die meisten Notrufe gibt es im Sommer. „Der Peak ist im September zur Hochsaison der Freizeitsportler“, sagt Tilman Hellberg. Seenotfälle, bei denen Menschen aus dem Wasser gezogen werden müssen, seien selten, ergänzt Haack.

Zurück im Schutzhafen: Es dauert nur wenige Minuten, dann ist die „Hamburg“ an ihrem Liegeplatz vertäut. Mit geschickten Handgriffen befestigt ein Teil der Besatzung die Leinen am Schiff.

Maschinist Wilm Willms hat den Borkumer Schutzhafen von der Brücke des Rettungskreuzers „Hamburg“ aus im Blick. Foto: Kraft
Maschinist Wilm Willms hat den Borkumer Schutzhafen von der Brücke des Rettungskreuzers „Hamburg“ aus im Blick. Foto: Kraft

Kurze Zeit später ertönt Borowskis Stimme aus der Kombüse: „Essen ist fertig!“ Der Mittagstisch ist gedeckt: Es gibt Penne mit Gemüse und Hackfleisch, dazu Salat. Im täglichen Wechsel übernimmt eines der Besatzungsmitglieder die Verpflegung an Bord. Geht man sich gegenseitig auf die Nerven auf so engem Raum? „Ja“, antwortet Borowski prompt und grinst.

In der Kombüse wechseln sich die Retter ab: Dieses Mal versorgt Stephan Borowski das Team. Foto: Münch
In der Kombüse wechseln sich die Retter ab: Dieses Mal versorgt Stephan Borowski das Team. Foto: Münch
„Aber wir können uns auch aus dem Weg gehen.“ Jeder bewohnt eine eigene „Kammer“ auf dem Schiff, die mit Bett und Schreibtsich ausgestattet ist. Zusätzlich nutzen die Seenotretter die Wasch- und Sporträume des Stationsgebäudes der DGzRS im Schutzhafen in unmittelbarerer Nähe zum Schiffsliegeplatz.
Im Stationsgebäude der DGzRS im Borkumer Schutzhafen können die Seenotretter duschen oder Wäsche waschen. Foto: Kraft
Im Stationsgebäude der DGzRS im Borkumer Schutzhafen können die Seenotretter duschen oder Wäsche waschen. Foto: Kraft

Kaum sind die Männer mit dem Mittagessen fertig, klopft es an der Bordwand: Ein Praktikant der Wasserschutzpolizei steht vor der Tür. Er meldet sich zu einer Besichtigung auf dem Rettungskreuzer. Auch solche Termine gehören zum Arbeitsalltag der Seenotretter. Für den Nachmittag steht noch eine Winschübung im Kalender. Langweilig wird es an Bord nie.

Glossar

Bug: Der vorderste Teil eines Schiffs

Deckshaus: Der Aufbau auf dem Deck eines Schiffs

Kombüse: Küche auf einem Schiff

Nautiker: Nautik beschreibt die Lehre und Wissenschaft der Schifffahrt. Neben dem Kapitän sind Nautiker für die sichere Überfahrt eines Schiffs verantwortlich.

SAR: SAR ist die weltweit einheitliche Abkürzung der englischen Wörter „Search And Rescue“, auf deutsch „Suche und Rettung“

Selbstaufrichter: Ein Schiff, das aufgrund seiner Konstruktion nach dem Kentern in seine normale Schwimmlage zurückfindet

Vormann: Die traditionelle Bezeichnung der DGzRS für den Vorgesetzten aller Besatzungsmitglieder einer Rettungseinheit. Die Tätigkeit des Vormanns ist vergleichbar mit der eines Kapitäns.

Winschen: Beim Winschen werden Personen oder Materialien über eine Seilwinde von einem Hubschrauber transportiert. Im Notfall können so Rettungssanitäter oder verletzte Personen schnell von Schiffen oder Gebäuden aufgenommen oder abgelassen werden.

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