Mein Lieblingsartikel 2023 Viel Gas, viel Ärger – ein Besuch an Bord des LNG-Terminals

Imke Oltmanns
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Von Imke Oltmanns
| 26.12.2023 17:34 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 7 Minuten
Blick von der Brücke der „Hoegh Esperanza“ auf die Anlagen an Bord. Rechts im Bild ist der LNG-Tanker „Attalos“ zu sehen, der gerade über mehrere Leitungen LNG rüberpumpt. Foto: Medienhaus Jade-Weser
Blick von der Brücke der „Hoegh Esperanza“ auf die Anlagen an Bord. Rechts im Bild ist der LNG-Tanker „Attalos“ zu sehen, der gerade über mehrere Leitungen LNG rüberpumpt. Foto: Medienhaus Jade-Weser
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Das LNG-Terminal vor Wilhelmshaven ist seit Dezember 2022 in Betrieb. Seitdem sorgt es nicht nur für Erdgas, sondern auch für Ärger. Ein Besuch an Bord eines schwimmenden Giganten.

Als Bundeskanzler Scholz am 27. Februar 2022 in einer Sondersitzung des Bundestags seine Zeitenwende-Rede hielt, saß ich einigermaßen angespannt vor dem Fernseher. Der Krieg in der Ukraine war gerade ein paar Tage alt, ich fühlte mich überrumpelt und ratlos. Und in dieser Rede hieß es dann, Wilhelmshaven solle ein LNG-Terminal bekommen, so schnell es geht, um die Unabhängigkeit von russischem Pipeline-Gas voranzutreiben. Diese Ankündigung überrumpelte mich auch; immerhin war das letzte LNG-Vorhaben in Wilhelmshaven gerade erst wegen Unwirtschaftlichkeit eingestellt worden. Am Tag nach der Sondersitzung habe ich angefangen, mich mit diesem neuen LNG-Projekt zu beschäftigen, und das dauert auch heute noch an. Ich habe mit Unternehmen, Experten und Politikern gesprochen, ich bin mehrfach per Schiff zur Anlegestelle vor Hooksiel rausgeschippert, um die Bauarbeiten dort zu beobachten. Ich war dabei, als Wirtschaftsminister Habeck die Verträge für die Terminalschiffe unterschrieb, direkt im Hafen von Hooksiel. Und ich war dabei, als Kanzler, Vizekanzler und Finanzminister vor einem Jahr das LNG-Terminal eröffneten - wirklich ganz großes Kino. Nur aufs Schiff selbst durfte ich nie, das Ganze gleicht einem Hochsicherheitstrakt. Weder von Land noch von See darf man sich nähern. Bis zum 28. August. Da wurden vier andere Journalisten aus der Region und ich eingeladen, an Bord zu kommen. Einer meiner beeindruckendsten Termine in diesem Jahr. Der Artikel ist erstmals am 29. August 2023 erschienen.

Hooksiel/Wilhelmshaven - Nähert man sich der „Hoegh Esperanza“ über den schmalen Anleger, türmt sich der blaue Rumpf mit den weißen Aufbauten massiv vor den Besuchern auf. 294 Meter lang, 46 Meter breit und sehr, sehr hoch. Die Köpfe jedenfalls kippen weit in den Nacken, als die Besuchergruppe vor dem Schiff aus den Autos steigt. Die Blicke bleiben vor allem an den beiden hohen weißen Verladearmen hängen, die nach vorn herausragen – die Rohrleitungen also, durch die das Erdgas das Schiff verlässt und per Pipeline ins deutsche Gasnetz fließt.

Die „Hoegh Esperanza“ liegt fest vertäut an einem Anleger vor Hooksiel bei Wilhelmshaven. Foto: Medienhaus Jade-Weser
Die „Hoegh Esperanza“ liegt fest vertäut an einem Anleger vor Hooksiel bei Wilhelmshaven. Foto: Medienhaus Jade-Weser

Besucher gibt es hier sonst eigentlich nicht. Die „Hoegh Esperanza“ ist zwar ein Schiff, aber eben auch eine Fabrik, eine Industrieanlage mit sehr strengen Sicherheitsvorschriften. Die ganze Anlage ist weiträumig abgesperrt, auf Anleger und Schiff sind sonst nur Crew und Techniker unterwegs. Anders an diesem Montag. Der Betreiber des LNG-Terminals, das Energieunternehmen Uniper, hat zum ersten Mal eine Handvoll Besucher auf die „Hoegh Esperanza“ eingeladen; durchweg Lokaljournalisten, die immer wieder über das Schiff berichten. Und über den Ärger, den es bei Bürgern und Umweltverbänden auslöst. Die einen haben Angst vor den Reaktionen der Touristen, die anderen vor den Folgen für die Natur. Vor allem die Chloreinleitungen in den Jadebusen, die mit dem Betrieb der Regasifizierungsanlage an Bord einhergehen, treffen auf massive Kritik bei Umweltschutzverbänden.

Das Schiff

Die „Hoegh Esperanza“ ist das erste schwimmende LNG-Terminal, das in Deutschland den Betrieb aufgenommen hat. Das war am 21. Dezember vergangenen Jahres, rund zehn Monate nach Ausbruch des Ukraine-Krieges. Die Bundesregierung hatte im Frühjahr in aller Eile mehrere dieser Schiffe gechartert, um die Erdgas-Versorgung in Deutschland sicherzustellen, sollte vom bisherigen Hauptlieferanten Russland nichts mehr kommen. LNG (englisch für liquified natural gas) ist nichts anderes als Erdgas, nur eben in verflüssigter Form. So kann es ohne Pipelines in Tankschiffen über die Meere transportiert und an den Küsten an entsprechenden Terminals entladen werden. Schwimmende LNG-Terminals sind im Grunde normale LNG-Tanker, nur eben mit zusätzlichen technischen Möglichkeiten: An Bord gibt es eine Regasifizierungsanlage, mit der das LNG mittels Erwärmung wieder in seinen gasförmigen Zustand zurückversetzt wird. Diese Spezialschiffe liegen dann fest in den Häfen und nehmen das LNG von den ankommenden Tankschiffen an.

LNG-Tanker übergeben ihre Ladung an die „Hoegh Esperanza“.Foto: dpa
LNG-Tanker übergeben ihre Ladung an die „Hoegh Esperanza“.Foto: dpa

Drei sind in Deutschland mittlerweile in Betrieb: das vor Wilhelmshaven, ein weiteres in Brunsbüttel und ein privat betriebenes vor Lubmin in der Ostsee. Das Wilhelmshavener holt von den Dreien mit Abstand das meiste Gas ins Land: Im ersten Halbjahr waren es 21,8 Terawattstunden (TWh) von insgesamt 33,8 TWh in LNG-Form. Tatsächlich ist das nur ein Bruchteil der deutschen Gasimporte. Im ersten Halbjahr importierte Deutschland rund 526 TWh Gas, fast die Hälfte davon aus Norwegen. Zwei weitere LNG-Standorte sind noch geplant: Stade bekommt ein Terminal und vor Wilhelmshaven wird im Herbst ein zweites stationiert. Die vier vom Bund gecharterten Schiffe werden von der Betreibergesellschaft DET (Deutsche Energy Terminal GmbH) betreut, einer bundeseigenen Gesellschaft, die auch die Vermarktung vorbereitet. Die tatsächliche Betriebsführung liegt aber bei verschiedenen Energieunternehmen, bei der „Hoegh Esperanza“ ist es Uniper.

Der Betrieb

Die Vorbereitungen für den Besuch auf der „Hoegh Esperanza“ beginnen schon Tage vorher mit einer Sicherheits-Schulung. Fest verpackt in Schutzausrüstungen, samt Helm, Brille und Sicherheitsschuhen macht sich die Besuchergruppe am Montagmorgen dann auf den Weg zum Schiff. Nach einer Sicherheitsschleuse geht es im Schneckentempo per Auto auf dem etwa zweieinhalb Kilometer langen Anleger hinaus zum Schiff. Die Wagen werden übrigens hinten auf dem Anleger gewendet und in Fluchtrichtung abgestellt, die Schlüssel bleiben stecken. Damit es im Notfall schneller geht.

Gruppenbild auf der „Esperanza“: fünf Journalisten, sieben Uniper-Mitarbeiter und ein Offizier.
Gruppenbild auf der „Esperanza“: fünf Journalisten, sieben Uniper-Mitarbeiter und ein Offizier.

Dann geht es hoch, Stufe über Stufe arbeitet sich die Gruppe von außen am Schiff hoch, zum Schluss öffnet ein Mitglied der Crew eine Gittertür und lässt die Besucher an Bord. Nach Schiff sieht es hier tatsächlich nicht aus, eher nach Industrieanlage. Eine verwirrende Menge an weißen und grauen Rohren zieht sich in Bündeln über das Deck und verschwindet nach unten oder oben aus dem Blickfeld. Man riecht nichts, es ist auch nicht besonders laut. Erstaunlich eigentlich, denn neben der Esperanza liegt der LNG-Tanker „Attalos“, der seine Ladung eben übergibt. Von der Brücke aus – also noch viele Stufen weiter hoch – ist gut zu sehen, wie die beiden Schiffe quasi per Nabelschnur miteinander verbunden sind. Die Nabelschnur, das sind fünf einzelne Leitungen, vom Bauch des einen Schiffes in den Bauch des anderen. Das ist der Rhythmus des Schiffs: Die Übergabe des verflüssigten Erdgases dauert etwa 30 Stunden, dann wird es an Bord der „Esperanza“ mit Hilfe von Meerwasser erwärmt und in den nächsten vier bis fünf Tagen als Erdgas ins Netz eingespeist. Die Erwärmung mit Meerwasser ist vielen Umweltverbänden ein Dorn im Auge, denn an Bord der „Esperanza“ wird für die Reinigung der Meerwasserrohre ein Verfahren genutzt, an dessen Ende Chlor ins Meer gelangt. Andere Verfahren würden geprüft, heißt es seit Monaten von Uniper, neues ist dazu an diesem Montag nicht zu erfahren.

Das Erdgas

Die „Attalos“ ist seit Inbetriebnahme in Wilhelmshaven der 30. Tanker, der hier angelegt hat, so rechnet es einer der Uniper-Mitarbeiter vor, die die Besucher auf dem Schiff begleiten. Und noch ein paar Zahlen: Die Ladung jedes einzelnen dieser Schiffe entspräche der jährlichen Erdgasversorgung einer mittleren Kleinstadt. Am Ende des Jahres sollen 50 LNG-Tanker an der „Esperanza“ angelegt haben. Die Versorgung für 50 Kleinstädte.

Das Erdgas selbst kommt aus verschiedenen Ländern, und nicht eben wenig aus den USA. Ein Uniper-Mitarbeiter präsentiert an diesem Montag auch eine Liste mit den Schiffsanläufen seit dem 2. Juli. Ausnahmelos alle kamen aus den USA, vor allem aus dem Golf von Mexiko.

Die Crew

Auf der Brücke wartet übrigens Pero Marinovic, Chief Officer auf der „Esperanza“ und verantwortlich für die technischen Anlagen. Marinovic ist Kroate, wie die meisten Offiziere an Bord. Die Mannschaft stammt laut Uniper hauptsächlich von den Philippinen. Insgesamt gehören rund 40 Mitarbeiter zum Schiff, die Arbeit läuft im Schichtbetrieb. Es sind übrigens alles Hoegh-Mitarbeiter, die norwegische Reederei hat das Schiff plus Besatzung an die Bundesrepublik verpachtet, für zehn Jahre. Pero Marinovic ist schon im vergangenen Winter mit der „Esperanza“ nach Wilhelmshaven gekommen. Bisher sei alles normal gelaufen, sagt der 35-Jährige, und erklärt die technischen Geräte auf der Brücke. Unter anderem kann man auf einem Monitor stets beobachten, was überall im Schiff geschieht. Außer in den Kabinen, sagt er, hängen überall Überwachungskameras. Ansonsten ist es still auf der Brücke, nichts los, das Schiff liegt ja auch fest vertäut am Anleger.

Pero Marinovic auf der Brücke der „Esperanza“. Foto: Uniper
Pero Marinovic auf der Brücke der „Esperanza“. Foto: Uniper

Die „Hoegh Esperanza“ hat an diesem Dienstag übrigens zum ersten Mal seit ihrer Ankunft in Wilhelmshaven ihren Liegeplatz verlassen. Sie ankert ein paar Kilometer weiter nördlich. Grund: Der Liegeplatz des Schiffs muss neu ausgebaggert werden, da die im vergangenen Herbst extra dorthin gebuddelte Mulde sich langsam wieder mit Sediment zusetzt. Unter dem Kiel müsse immer mindestens ein Meter Wasser sein, erklärt ein Uniper-Mitarbeiter. Und das heißt: Alle halbe Jahr muss gebaggert werden.

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