Gastbeitrag von Karsten Krogmann Liebe Deutsche Bahn, wir müssen reden
Journalist Karsten Krogmann fährt viel mit der Deutschen Bahn. Die ist auch Thema seines Gastbeitrags.
Liebe Deutsche Bahn,
wir müssen reden.
Ich bin zwar kein gewiefter Geschäftsmann, sondern nur ein gelernter Journalist und Musikwissenschaftler – aber ich merke doch, wenn ich betuppt werde. Zum Beispiel dadurch, dass ein Vertrag zwischen zwei Parteien nur von einer Seite erfüllt wird. Nämlich von mir.
Ich habe eine BahnCard 100. BahnCard-100-Inhaber zahlen eine mittlere vierstellige Summe dafür, dass sie im Netz der Deutschen Bahn ohne zusätzliches Ticket Bahnfahren dürfen. Aktuell sind das 4550 Euro. 2023 waren es 4339 Euro, ein Jahr zuvor 4144 Euro; die Bahnflatrate wird jedes Jahr teurer. Hinzu kommt, jedenfalls in meinem Fall, ein dreistelliger Betrag für Sitzplatzreservierungen. Denn Bahnflatrate bedeutet nicht Sitzflatrate, bahnfahren kann man auch im Stehen. Arbeiten in der Bahn geht dann aber nicht so gut.
So weit der Vertrag. Das Problem bei diesem Vertrag ist nur: Ich zahle fürs Bahnfahren – aber die Bahn fährt gar nicht. Okay, manchmal fährt sie schon, dann aber meistens später als verabredet. Oft sehr viel später. Und das von einem anderen Gleis. Mit geänderter Wagenreihung. Ohne Wagen 8. Mit geschlossenem Bordbistro. Ohne WLAN. Mit Halts auf offener Strecke. Wegen technischer Störung, Signalstörung, Weichenstörung, verstörter Bahnmitarbeiter. Oder was es da sonst noch so gibt im Durchsagenangebot: Defektetürverspätungeinesvorausfahrendenzugesreparaturanderstreckepersonalausverspäteterfahrtundsoweiter. Die Ursachen wechseln, das Ergebnis bleibt: Ich verliere Stunden, Tage, Wochen meines Lebens. Verpasse Anschlusszüge und Verabredungen. Und meine Sitzplatzreservierungen sowieso.
Ihr hättet es gern konkreter?
Na gut: heute wieder, eine Fahrt zwischen Mainz in Rheinland-Pfalz und Oldenburg in Niedersachsen. Pünktliche Abfahrt um 16:18 Uhr in Mainz. Schleichfahrt nach Frankfurt/Main. Stopp irgendwo im Grünen, „technischer Defekt“. Weiterfahrt mit reduzierter Geschwindigkeit. Voraussichtliche Verspätung: 95 Minuten. Durchsage: Zusatzhalt in Kassel-Wilhelmshöhe. Neue Durchsage: Fahrtende in Kassel-Wilhelmshöhe, alle Fahrgäste bitte aussteigen und in den nächsten Zug einsteigen. Noch eine Durchsage: „Der nächste Zug ist schon sehr voll, es werden nicht alle Passagiere mitfahren können.“ Also übernächster Zug. Voraussichtliche Verspätung: 130 Minuten. In Oldenburg wird kein Bus mehr fahren vom Bahnhof, ich werde ein Taxi bezahlen müssen.
Ein Einzelfall? Nö. Erst drei Tage zuvor, auf der Hinfahrt von Oldenburg nach Mainz, hatte ich 80 Minuten Verspätung. Und kein WLAN. (Später am Zielort fand ich eure Werbung im Internet: „Was Autofahrende gerne könnten: E-Mails schreiben bei 250 km/h.“ Bahnfahrende könnten das auch gerne.)
Während ich das schreibe, stehen wir schon wieder. Grund: „Güterverkehr“. Voraussichtliche Verspätung: 140 Minuten.
Liebe Bahn, ich weiß noch nicht, wann ich diesen Text posten kann. Ihr wisst schon: das WLAN. Aber ich finde, ihr schuldet mir was.
zur Person
Karsten Krogmann, aufgewachsen in Barßel (Kreis Cloppenburg), war bis 2020 Chefreporter der „Nordwest-Zeitung“ und schrieb für Zeitungen wie „Die Zeit“ oder „Welt am Sonntag“. Für seine Reportagen wurde er unter anderem mit dem Nannen-Preis und dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet. Heute leitet er das Team Medien & Recherche des WEISSEN RINGS, Deutschlands größter Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer mit Sitz in Mainz. Krogmann, 55 Jahre alt, lebt mit seiner Familie in Oldenburg.