Ins Gespräch kommen Lars Reckermann bilanziert sein erstes Jahr als Chefredakteur

| | 01.11.2024 09:33 Uhr | 1 Kommentar | Lesedauer: ca. 5 Minuten
Chefredakteur Lars Reckermann bei einer Wattwanderung im Juli. Auf den Spuren des Wolfes lief er von Norddeich bis zur Insel Norderney – natürlich mit einem Wattführer. Foto: Reckermann
Chefredakteur Lars Reckermann bei einer Wattwanderung im Juli. Auf den Spuren des Wolfes lief er von Norddeich bis zur Insel Norderney – natürlich mit einem Wattführer. Foto: Reckermann
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Am 1. November 2023 hat Lars Reckermann den Posten als Chefredakteur in Ostfriesland angetreten. In diesem Jahr gab es positive Erlebnisse, aber auch absolute Tiefpunkte.

Ich war vor meinem ersten Arbeitstag bei der Zeitungsgruppe Ostfriesland sehr aufgeregt. Neue Gesichter. Neue Umgebung. Neue Erwartungen. In Ostfriesland werden Menschen mit Ruhrpott-Hintergrund zuweilen ja als Nordrhein-Vandalen bezeichnet.

Himmel, was hatte ich für einen Bammel an jenem 1. November 2023. Und dann bin ich ja auch noch in einer Branche unterwegs, in der ich es niemals allen recht machen kann. Ständig ist irgendwer wegen eines kritischen Beitrags entweder beleidigt, gekränkt oder empört.

Medienkritik gehört zur Debattenkultur

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Medienkritik ist für mich ein fester Bestandteil einer intakten Debattenkultur. Denn natürlich sind wir Journalistinnen und Journalisten nicht davor gefeit, voreingenommen, unsauber oder sonst irgendwie fehlerhaft zu berichten. Pressefreiheit steht nicht für Unfehlbarkeit. Ich habe vor einem Jahr an dieser Stelle geschrieben, dass wir mehr miteinander reden müssen. Deshalb habe ich mich ganz frech zu jeder Ostfriesin und jedem Ostfriesen eingeladen. Ich kam sie zu Hause besuchen. Ich lernte viele Vereine, Institutionen und Organisationen kennen. Ich besuchte natürlich auch Politikerinnen und Politiker. Ich habe vor Rotary- und Lions Clubs reden dürfen. In Collinghorst lud mich Pastor Torben Weinz in seinen Gottesdienst ein. Ich habe Silvester meinen ersten Speckendicken in Rhaude an der Mühle gegessen (schmeckte mir hervorragend). Ich durfte bei der VHS in Leer und beim Bündnis „Emden Demokratisch“ über die Pressefreiheit reden.

Vor einer Woche haben Ostfriesen-Zeitung und die Evangelisch-reformierte Kirche zum „politischen Reformationstag“ eingeladen. Auch dort sind wir miteinander ins Gespräch gekommen. Gemeinsam mit dem Landwirtschaftlichen Hauptverein für Ostfriesland haben wir das „Scheunengespräch“ erfunden, um bei Debatten mehr über Gemeinsamkeiten, denn Trennendes zu reden. Wie unterschiedlich die Menschen in Ostfriesland und umzu sind, welche spannenden, bewegenden Geschichten sie zu erzählen haben, erfuhr ich auch in mehr als 40 Folgen unseres Podcastes „Ein Glas mit Lars“.

Am 24. Oktober 2024 war Lars Reckermann bei einer Podiumsdiskussion in Emden zum Thema Meinungs- und Pressefreiheit. Eingeladen hatten die Evangelisch-reformierte Kirche und die Ostfriesen-Zeitung. Mit dabei waren (von links): Meta Janssen-Kucz, Lars Reckermann, Birke Schoepplenberg, Susanne Bei der Wieden und Lennard Landgraf. Foto: Spindler
Am 24. Oktober 2024 war Lars Reckermann bei einer Podiumsdiskussion in Emden zum Thema Meinungs- und Pressefreiheit. Eingeladen hatten die Evangelisch-reformierte Kirche und die Ostfriesen-Zeitung. Mit dabei waren (von links): Meta Janssen-Kucz, Lars Reckermann, Birke Schoepplenberg, Susanne Bei der Wieden und Lennard Landgraf. Foto: Spindler

Die Gleichgültigkeit greift um sich

Klingt nach Friede, Freude, Eierkuchen… Nicht immer. Es gab auch Tiefpunkte. Als eine Kollegin tätlich angegriffen wurde, weil sie ihrer Arbeit nachging und über einen Brand berichten wollte. Ein halbes Jahr war die Kollegin krankgeschrieben. Wir haben diesen Fall öffentlich gemacht. Die Reaktionen: Es gab keine. Weder von der Politik noch aus der Gesellschaft. Ich sorge mich in diesem Land nicht um die Pressefreiheit. Jeder darf sagen und schreiben, was er möchte. Ich sorge mich um die um sich umgreifende Gleichgültigkeit. Ich sorge mich um die Tonalität. Auf der Facebookseite dieser Zeitung habe ich angefangen, Menschen zu blockieren.

„Das darf er nicht“, schrieb ein Leser. Ob ich mit Kritik nicht umgehen könne. Doch, das kann ich. Wir Journalisten müssen uns aber nicht alles gefallen lassen. Facebook ist für mich so etwas wie unser Wohnzimmer. Ich lade mir privat ja auch nicht Gäste nach Hause ein, die mir die Bude auf ein Kopf stellen.

Ein unabhängiger Journalismus kostet Geld

Wer uns jederzeit und ohne Einschränkung lesen möchte, kann übrigens ein Abo kaufen. Das ist wertvoller als eine Überschrift bei Facebook. Ja, Nachrichten kosten Geld. Unabhängiger Journalismus kostet Geld. Auch das ermöglicht die Freiheit der Presse. Ich weiß, dass einige Menschen uns als Systempresse oder Lügenpresse bezeichnen. Längst dürfe man ja nicht mehr alles sagen. So ein Quatsch. Es ist schon paradox: Ausgerechnet unsere stärksten Kritiker nutzen alle Möglichkeiten, die ihnen die Presse- und Meinungsfreiheit bietet, um zu behaupten, dass es sie gar nicht gibt.

Dürfen die Pressekritiker das? Ja, das dürfen sie. Die Pressefreiheit ist Gott sei Dank bei uns stark – vor allem muss sie um ihrer selbst willen auch ihre massivsten Gegner schützen.

Kleinigkeiten bedrohen die Pressefreiheit

Zur Wahrheit gehört aber auch: Oft sind es Kleinigkeiten, die die Pressefreiheit bedrohen. Wenn etwa Politiker, Gruppen, Parteien, Vereinigungen, Geschäftsleute oder welche Interessengruppe auch immer bestimmen wollen, was und wie der Journalist zu schreiben oder zu fragen hat. Dann wird eine Grenze überschritten. Dann ist die Pressefreiheit bedroht. Wer uns Journalisten den Stift halten will, will uns und damit auch Ihnen die Nachrichten diktieren.

Leider ist es vom Eingreifen zum Angreifen kein langer Weg mehr. Dafür muss man nicht in Dresden oder Berlin-Wedding leben. Das passiert auch in Ostfriesland. Meine angegriffene Kollegin und viele andere Journalistinnen und Journalisten dieser Zeitung können davon ein Lied singen. Leider.

Im August 2024 feierte „Ein Glas mit Lars“ seine Live-Premiere. Mit Ex-Bild-Chef Kai Diekmann war ein hochkarätiger Gast zu Besuch in Leer. Im November 2024 erwartet Lars Reckermann den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff vor Publikum. Foto: Ortgies
Im August 2024 feierte „Ein Glas mit Lars“ seine Live-Premiere. Mit Ex-Bild-Chef Kai Diekmann war ein hochkarätiger Gast zu Besuch in Leer. Im November 2024 erwartet Lars Reckermann den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff vor Publikum. Foto: Ortgies

Einander zuhören und respektieren

Liebe Leserinnen und Leser. Statistisch gesehen, gibt es jetzt drei Reaktionen auf diesen Meinungsbeitrag: Kritik, Zustimmung, Gleichgültigkeit.

Ich möchte Ihnen im zweiten Jahr meiner Zeit als Chefredakteur erneut ein Angebot machen. Sie möchten mir Ihre Geschichte erzählen? Podcasten Sie mit mir bei einem „Glas mit Lars“. Sie möchten wissen, wie Zeitung funktioniert? Welche Herausforderungen wir haben? Laden Sie mich ein. Ich komme gerne. Das kostet nur Ihre Zeit.

Oder möchten Sie einmal an einer Redaktionskonferenz teilnehmen? Das richten wir gerne ein. Meine Redaktion und ich freuen uns auf jede Begegnung. Wenn ich bei unserem Treffen dann etwas aufgeregt bin, sehen Sie es mir nach. Wie eingangs erwähnt: neue Gesichter, neue Erwartungen. Aber wenn wir es im direkten Gespräch schaffen, uns gegenseitig zu respektieren und uns zuzuhören, nehme ich die Nervosität gerne in Kauf.

Bleibt noch der Hinweis, wie Sie mich erreichen können: l.reckermann@zgo.de

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