Meinung Tötung in Emden – warum wir über Männer reden müssen

Hannah Weiden
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Ein Kommentar von Hannah Weiden
| 21.01.2025 13:09 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
Beamte der Spurensicherung stehen im Stadtteil Larrelt vor einem Einfamilienhaus. Eine Frau ist mutmaßlich von ihrem Partner getötet worden. Foto: J. Doden / Emden
Beamte der Spurensicherung stehen im Stadtteil Larrelt vor einem Einfamilienhaus. Eine Frau ist mutmaßlich von ihrem Partner getötet worden. Foto: J. Doden / Emden
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Nach dem Tötungsdelikt in Emden ging in den Kommentarspalten eine Debatte über Gewalt gegen Frauen los. Ein Meinungsstück darüber, warum sich vor allem Männer beschämend verhalten.

Emden - Der Fall in Emden, bei dem am Sonntag, 19. Januar 2025, ein 67-jähriger Emder seine 65-jährige Ehefrau getötet haben soll, sorgt für Erschütterung. In den sozialen Netzwerken wurde auch in den Kommentarspalten dieser Zeitung viel über die Hintergründe spekuliert und eine Debatte über Gewalt gegen Frauen ausgelöst.

Es folgten viele Kommentare, vor allem von Männern. Teils waren diese Kommentare so schlimm, dass unsere Digitalredaktion sie löschen oder verbergen musste. Die Frau habe bestimmt das Essen anbrennen lassen oder das Auto des Mannes beschädigt, schreiben zwei Männer als mögliche Gründe für die Tötung. „Die war bestimmt nicht lieb. Kann passieren“, schrieb ein anderer Nutzer. Beschämend.

Von Femiziden statt von Ehedramen sprechen

„Man kann besser alleine bleiben, da man nie weiß, ob man lebendig aus einer Beziehung rauskommt“, schreibt eine Frau. Danach geht es beschämend weiter. Männer schreiben unter den Kommentar der Nutzerin, es sei eine „dämliche“ Einstellung, so zu denken. Es gebe Millionen „ganz tolle harmonische und liebevolle Beziehungen“, die zeigten, dass die Nutzerin unrecht habe. Es würden nicht nur Frauen misshandelt, auch andersrum gebe es „so was mehr als genug“. „Kämm nicht alle Männer über einen Strang und tu so, als wenn nur Männer gewalttätig sind.“

"Essen anbrennen lassen", schrieb ein männlicher Nutzer als Kommentar unter den Artikel über die Tötung einer Frau in Emden. Screenshot: Facebook/Weiden
"Essen anbrennen lassen", schrieb ein männlicher Nutzer als Kommentar unter den Artikel über die Tötung einer Frau in Emden. Screenshot: Facebook/Weiden

2023 ist durchschnittlich fast jeden Tag eine Frau in Deutschland von ihrem männlichen Partner oder Ex-Partner getötet worden. Oft ist dann von Ehedramen, Familientragödien, Beziehungstaten oder tragischen Einzelfällen die Rede. Nach Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung findet ein Großteil der Frauentötungen von Männern im Kontext der Machtdynamiken von Sexismus und Misogynie statt. Es sind Tötungen, bei denen das weibliche Geschlecht des Opfers eine Rolle spielt. Diese Frauentötungen durch Männer nennt man Femizide.

Debatte wird verschoben

Männer empfinden das oft als persönlichen Angriff, wie jene Kommentare auch zum Fall in Emden zeigen. Mit der Aussage „nicht alle Männer“ behaupten sie, es werde zu sehr verallgemeinert. Nicht alle Männer seien automatisch Täter. Unter den Beiträgen in den sozialen Medien, die auf sexuellen Missbrauch oder Femizide aufmerksam machen, sammelte sich in der Vergangenheit deshalb der Hashtag #notallmen, also „Nicht alle Männer“.

Kommentare wie diese relativieren Gewalt gegen Frauen. Screenshot: Facebook/Weiden
Kommentare wie diese relativieren Gewalt gegen Frauen. Screenshot: Facebook/Weiden

Natürlich sind nicht alle Männer gewalttätig und natürlich überwiegt die Zahl der harmonischen, glücklichen Beziehungen ohne Gewalt. Etwas anderes behauptet auch keiner. Und natürlich gibt es auch Gewalt von Frauen gegen Männer. Aber: Den Diskurs darauf zu verschieben, dass die armen Männer unter Generalverdacht gestellt werden, statt sich des offensichtlichen Hauptproblems, dass Frauen regelmäßig Gewaltopfer von Männern werden, zu stellen, ist fatal und ebenfalls beschämend. Gewalt gegen Frauen wird so verharmlost, die Debatte findet dann wieder einmal aus männlicher Sicht statt.

„Nicht alle Männer, aber immer Männer“

Viele Frauen haben den Hashtag deshalb erweitert. „Not all men, but always men“, schreiben sie. Also: „Nicht alle Männer, aber immer Männer“. Damit meinen sie, dass natürlich nicht alle Männer gewalttätig gegenüber Frauen sind. In den allermeisten Fällen sind es aber Männer – meist sogar im privaten Umfeld –, die Gewalt an Frauen ausüben. Das ist ein strukturelles Problem. Die Taten sind offensichtlich keine Einzelfälle.

"Die war bestimmt nicht lieb", schreibt ein Nutzer bei TikTok. Screenshot: TikTok/Martens
"Die war bestimmt nicht lieb", schreibt ein Nutzer bei TikTok. Screenshot: TikTok/Martens

Die Zahlen des Bundesinnenministeriums sprechen für sich: 2023 zählte die Polizei in Deutschland insgesamt 938 weibliche Opfer von (versuchten) Tötungsdelikten durch Männer, 360 Frauen und Mädchen kamen dabei ums Leben, 247 von ihnen durch häusliche Gewalt. 2023 wurden 52.330 Frauen und Mädchen in Deutschland Opfer von Sexualstraftaten, über die Hälfte von ihnen war unter 18 Jahre alt. Der Anteil von Frauen und Mädchen bei den Tatbeständen Vergewaltigung, sexueller Nötigung und sexuellem Übergriff liegt bei 98,9 Prozent, bei sexueller Belästigung bei 98,7 Prozent und beim sexuellen Missbrauch von Kindern, Jugendlichen und Schutzbefohlenen ab 14 Jahren bei 95,5 Prozent. Delikte der häuslichen Gewalt in Partnerschaften betrafen 2023 mit 79,2 Prozent Frauen. Fast jede Frau ist im Laufe ihres Lebens einmal Opfer von psychischer oder physischer sexualisierter Gewalt durch Männer. Jede vierte Frau wird im Laufe ihres Lebens Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt ihres Partners oder Ex-Partners. Beschämend.

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