Strategie zur Verkehrswende „Ich vermisse nichts“ - Prämien belohnen autofreies Leben
![Isabell Scheuplein, dpa](/build/images/placeholder/autor.be25fcdd.png)
![Julia Koenen hat ihr Auto abgeschafft - im Tausch gegen die Prämie der Stadt. Foto: Boris Roessler/dpa](/media/webartikel-image/6806890/image/6df4e9cff846da817232-4c07b0341493366d.jpg)
Wer in Frankfurt am Main sein Auto verkauft, erhält ein Jahresabo für Bus und Bahn. Auch andere Städte wollen mit solchen oder ähnlichen Anreizen die Verkehrswende vorantreiben.
Julia Koenen hat ihr Auto abgeschafft. Die 37-Jährige nutzt nur noch Straßenbahn, U-Bahn oder Regionalzug, um zur Arbeit zu kommen oder in der Freizeit mobil zu sein. Ausschlaggebend war eine Aktion der Stadt Frankfurt am Main, in der sie lebt. Seit Juli vergangenen Jahres erhalten hier Menschen ein einjähriges Abo für das Deutschlandticket, wenn sie nachweisen können, dass sie ihren Pkw mit Verbrennermotor gerade verkauft haben.
„Ich vermisse nichts“, sagt Julia Koenen mit Blick auf ihr autofreies Leben. „Ich brauche selten ein Auto und wenn, dann nehme ich meistens eines aus dem Carsharing.“ Die Bahn sei auch nicht immer so unpünktlich, wie es oft heiße. Ihr Auto habe schon vor dem Verkauf meist in der Garage gestanden.
Stadt will Wirkung nach einem Jahr ermitteln
Rund 340 Menschen haben es Koenen bis Ende Januar gleich getan, wie die Stadt Frankfurt mitteilt. „Damit sind wir sehr zufrieden“, sagt eine Sprecherin des Mobilitätsdezernats.
Missbrauchsfälle seien bisher keine bekannt. Die Wirkung der Prämie soll nach einem Jahr evaluiert werden. Eine halbe Million Euro Budget steht zur Verfügung. Die Stadt betont, es handele sich um eine kleinere Maßnahme eines größeren Gesamtplans zur Förderung klimafreundlichen Verkehrs.
Auch andere Städte haben schon solche oder ähnliche Prämien ausgelobt. Darmstadt zahlte seit September 2022 ein dreimonatiges „Klimaticket“ für Bus und Bahn bei Abschaffung des eigenen Autos. Im Januar 2024 endete das Programm aus Spargründen, auch waren die Teilnehmerzahlen immer weiter gesunken. Rund 200 abgemeldete Autos zählte die südhessische Stadt in der Zeit.
Die Stadt Marburg musste die zweite Auflage ihres Anreizprogramms trotz großer Nachfrage wegen einer Haushaltssperre Ende vergangenen Jahres nach wenigen Monaten zunächst aussetzen. Bis dahin erhielten insgesamt 89 Bürgerinnen und Bürger 1.250 Euro in Form von Gutscheinen für ein Jahr Verzicht auf ein privates Auto.
500 Euro bei Kauf eines Fahrrads
In Heidelberg in Baden-Württemberg wurde zwischenzeitlich die Abmeldung des eigenen Autos mit einem Jahresabo für den öffentlichen Nahverkehr oder einer 500-Euro-Zuzahlung bei Kauf eines Fahrrads belohnt. Die Art der Fortführung des Förderprogramms „Umweltfreundlich mobil“ hängt derzeit von Haushaltsberatungen ab, wie ein Sprecher mitteilt.
Fallzahlen wie in Frankfurt seien angesichts der großen Gesamtzahl von Autos ein Tropfen auf den heißen Stein, sagt der verkehrspolitische Sprecher des ökologischen Verkehrsclubs Deutschland (VCD), Michael Müller-Görnert. Es gebe dringendere Aufgaben wie einen guten öffentlichen Nahverkehr, effektives Parkraummanagement und sichere Radwege. „Das muss Hand in Hand gehen“, sagt Müller-Görnert. Viele Städte seien auf einem guten Weg, andere unternähmen gar nichts in die Richtung und andernorts gebe es Rückschritte.
Städte fordern ausreichend Geld zur Finanzierung
Die Städte wollten mehr Grün, gute Luft und wenig Lärm, dazu leiste die Verkehrswende wichtige Beiträge, sagt der Präsident des Deutschen Städtetags, der Oberbürgermeister von Münster, Markus Lewe (CDU). Um Menschen zum Umsteigen zu bringen, seien attraktive und bezahlbare Alternativen wichtig: moderne Busse und Bahnen, eine engere Taktung und Verzahnung im Nahverkehr, bessere Verbindungen ins Umland und eine digitale Verkehrslenkung. Bund und Länder müssten dafür eine gute finanzielle Ausstattung bereitstellen.
Vorrangiges Ziel von Anreizen wie Prämien zur Abschaffung des eigenen Autos sei eine breite Diskussion in der Stadtgesellschaft, sagt Mobilitätsforscherin Levke Sönksen vom Deutschen Institut für Urbanistik. Dazu würden auch Gewinnspiele oder Wettbewerbe veranstaltet wie das „Stadtradeln“.
Berührungsängste abbauen
Die Aktionen bauten Berührungsängste ab und führten weg von der Vorstellung eines Verzichts: „Vielleicht teste ich dann die Bahn einmal aus und merke, das gibt mir auch eine gewisse andere Freiheit, wenn ich ein Buch lesen kann, statt im Stau zu stehen“, erläutert die Forscherin.
Wichtig sei eine Gesamtstrategie, in die die Aktionen eingebunden sind, sagt Sönksen. Anders sei eine dauerhafte Wirkung nicht zu erzielen. Neben der Förderung von Rad- und Fußverkehr komme es auf einen funktionierenden öffentlichen Nahverkehr an: „Man muss sich darauf verlassen können, dass der Bus fährt, dass man sich das Ticket leisten kann und dass das in drei Jahren auch noch so ist.“