Brandts Welt Fischtraum


In dieser Folge seiner Kolumne schildert Jan Brandt, wie er von seinem Vater geträumt hat. In dem Traum geht es um Fisch für das Mittagessen. Dann wird der Traum zum Albtraum.
Ich habe Essen schon bald fertig“, sagte Vater, als ich in die Küche kam. Ich fragte: „Wo?“, und er wies auf die Arbeitsplatte, auf der Fisch auslag, roher, filetierter Fisch, Lachs, Hering, Matjes, aus der Packung, aus der Dose. „Von wann ist der?“, fragte ich. „Von jetzt?“ – Vater schüttelte den Kopf. „Wann hast du den aus der Packung genommen?“ Anstatt mir zu antworten, schaute Vater aus dem Fenster in den Garten. Der Mähroboter zog seine Bahnen diagonal über den Rasen. „Tja, wann war das?“ Er verstummte, hob eine Hand ans Kinn und sagte dann, als würde das bei der zeitlichen Bestimmung helfen: „Der lag bei Mutter im Nachtschrank.“ – „Wer?“, fragte ich, „der Fisch?“ Vater ließ die Hand sinken und blickte mich an. „Die Packungen lagen alle bei Mutter im Nachtschrank.“ – „Seit wann?“, fragte ich. „Ist der da – „, ich überlegte, wie lange sie jetzt schon tot war, seit drei Jahren, dreieinhalb, „ist der da seit dreieinhalb Jahren drin gewesen? Und den sollen wir jetzt noch essen?“ – „Der ist noch gut“, sagte Vater entschieden.
Der Schriftsteller
Jan Brandt, 1974 in Leer geboren, in Ihrhove aufgewachsen und heute in Berlin lebend, studierte Geschichte und Literatur in Köln, London und Berlin und absolvierte eine Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule München. Sein Debütroman, das große Ostfriesland-Epos „Gegen die Welt“, stand 2011 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis und wurde mit dem Nicolas-Born-Debütpreis ausgezeichnet.
Ich ging zur Arbeitsplatte hinüber, roch an den Fischfilets, befühlte das Fleisch, konnte nichts Auffälliges feststellen, traute mich aber auch nicht, diesen Fisch, wo immer er gelegen hatte, zuzubereiten. „War die Packung geöffnet?“, fragte ich und zog die Klappe des Abfalleimers auf, durchwühlte den Müll nach den Fischverpackungen, konnte aber keine finden. Er musste sie bereits entsorgt haben. „Bis wann war der haltbar?“ Ich schlug die Klappe zu und drehte mich zu Vater um. Ich bekniete ihn, mir zu antworten, wortwörtlich: Ich sank auf meine Knie und umfasste seine Hüften. Vater aber nestelte an seinem Pullover herum, seinem blauen Strickpullover mit V-Ausschnitt, seinem Lieblingspullover von Maerz, dem Pullover, in dem wir ihn begraben hatten. Und während er mit seiner Garderobe beschäftigt war, sah ich an ihm vorbei, überrascht, dass er den großen Flachbildfernseher aus dem Wohnzimmer in die Küche gestellt hatte. Ich ließ von ihm ab und richtete mich auf – ein Dokumentarfilm. Ein Insekt kriecht über eine Scheibe, eine Schnecke, eine, gemessen an den Menschen, die hinter der Scheibe zu sehen sind, gigantische Schnecke. Doch dann sah ich, dass es kein Bildschirm war, kein Fernseher, sondern ein Fenster, das Fenster an unserer Haustür, und dass überall, über alle Fenster um mich herum gigantische Schnecken krochen.
Der Garten war voller ins Monströse mutierter Insekten. Selbst der Mähroboter kam nicht dagegen an, immer wieder stieß er gegen sie und änderte daraufhin seinen Kurs. Vater zog sich den Pullover aus. „Ha“, sagte er, „es ist so heiß hier drin, so stickig.“ Er hängte den Pullover über die Stuhllehne und ging auf eins der bodentiefen Fenster zu. „Was hast du vor?“, fragte ich. „Ich will die Tür aufmachen, ein bisschen frische Luft reinlassen.“ – „Mach das nicht“, sagte ich, „siehst du nicht, was hier vor sich geht?“ Ich griff nach ihm, wollte ihn zurückhalten, aber er war mir drei Schritte voraus, zu viele, als dass ich ihn hätte stoppen können. „Kümmere du dich man um den Fisch. Gleich ist Mittagessenszeit.“