Gefährlicher Weltrekord Krokodil gegen Mensch in Indonesien


Nirgendwo greifen Salzwasserkrokodile so oft an wie in Indonesien. Gerade erst wurde ein Mann beim Schwimmen totgebissen. Woher rührt der Konflikt zwischen Mensch und Tier? Überlebende berichten.
Die Erinnerung an jenen verhängnisvollen Tag vor rund vier Jahren ist bei Jamal so lebendig, als wäre es gestern gewesen. Wie könnte er den Angriff auch vergessen? Die Narben von seinem Kampf mit einem Salzwasserkrokodil trägt er noch heute auf der Haut. Wie so oft war der Fischer aus der indonesischen Provinz Zentral-Sulawesi allein mit seinem Boot hinausgefahren. Dann, am frühen Abend, geschah es.
Krokodil klettert auf Boot
Vor der Küste der Provinz-Hauptstadt Palu kletterte plötzlich ein Krokodil auf das Boot - und attackierte. Jamal wurde ins Wasser gerissen und rang dort mit dem Tier. Irgendwie bekam er ein Messer auf seinem Boot zu fassen. „Nach wenigen Minuten schaffte ich es, dem Krokodil ins Auge zu stechen, dann ließ es von mir ab“, erinnert sich der heute 50-Jährige. Er habe während der ganzen Zeit versucht, nicht in Panik zu geraten, „denn dann ist man verloren“.

Irgendwie schaffte er es ans Ufer und ließ sich ärztlich versorgen. Eine Woche später war Jamal bereits wieder auf See. „Angst kann ich mir nicht leisten, denn das Meer ist unsere Lebensgrundlage“, sagt er. Aber zehn Bisswunden an seinem Körper erzählen bis heute von seinem Überlebenskampf.
Dramatischer Weltrekord
Viele haben weniger Glück: Gerade erst erwischte es vor Palu auf Sulawesi - einer für ihre Korallenriffe bekannten Insel zwischen Borneo und Neuguinea - einen 51-Jährigen beim Schwimmen. Herbeigeeilte Retter entdeckten ihn schließlich im Maul eines großen Krokodils. Das Tier wurde erschossen - aber der Mann war bereits tot.
Laut einer Statistik der unabhängigen Datenbank CrocAttack gab es in Indonesien allein im vergangenen Jahr 179 Krokodilangriffe auf Menschen - weit mehr als in jedem anderen Land. Für 92 Opfer endete die Begegnung tödlich. Oft werden die Leichen nie gefunden. Zum Vergleich: In Australien, dessen tropische Regionen oft als extrem gefährlich dargestellt werden, wurden nur sieben Angriffe mit drei Toten verzeichnet.
Kampf um Ressourcen
Die Fischer aus der Region erzählen, dass sie früher eher selten Krokodile gesehen hätten - heute seien Sichtungen hingegen an der Tagesordnung. Laut Amir Hamidy, Reptilienexperte bei Indonesiens Nationaler Forschungs- und Innovationsagentur (BRIN), sind vor allem das Bevölkerungswachstum im weltgrößten Inselstaat sowie die damit einhergehenden Umweltveränderungen für den gefährlichen Trend verantwortlich.
Denn der Lebensraum der Krokodile schrumpft. „Da die Krokodilpopulation und die menschliche Bevölkerung beide wachsen und um dieselben Ressourcen konkurrieren, sind Interaktionen unvermeidlich“, sagt Hamidy.
Um welche Krokodilart geht es?
In Indonesien sind verschiedene Krokodilarten heimisch, doch die meisten Konflikte gibt es mit dem Leistenkrokodil (Crocodylus porosus), auch Salzwasserkrokodil genannt. Die Spezies ist die größte und gefährlichste Krokodilart und in ganz Südostasien und Australien verbreitet. Die Tiere können eine Länge von mehr als sechs Metern erreichen und gelten als aggressiv und territorial.

Leistenkrokodile sind zudem äußerst anpassungsfähig und gedeihen in unterschiedlichen Lebensräumen, von Flüssen und Mangrovenwäldern bis hin zu Küstengewässern. „Diese Anpassungsfähigkeit, kombiniert mit ihrem großen Verbreitungsgebiet, erhöht die Wahrscheinlichkeit, auf Menschen zu treffen“, betont Hamidy.
Welche Rolle spielen Bergbau und Plantagen?
Überdurchschnittlich häufig sind Angriffe in den Regionen Ost-Kalimantan auf Borneo und Bangka-Belitung vor Sumatra. Dazu tragen nicht nur die zunehmende Landwirtschaft, sondern auch Bergbauaktivitäten bei.
So hat der - oftmals illegale - Zinnabbau in Bangka-Belitung viele künstliche Gewässer geschaffen. Ein ideales Habitat für Krokodile auf der Suche nach neuen Revieren. Etwa 90 Prozent des von Indonesien exportierten Zinns stammen aus dieser Provinz. Zahlreiche Urzeitreptilien hätten sich mittlerweile in verlassenen Gruben niedergelassen, sagt der Tierschützer Endy Yusuf.
Auch der Bau von Kanälen für Palmölplantagen und andere Veränderungen an Wasserstraßen haben neue Lebensräume entstehen lassen. Die Folge: Die Krokodilpräsenz in besiedelten Gebieten ist dramatisch gewachsen. Mit oft tödlichen Folgen.
Hand abgebissen
Allein in den ersten beiden Monaten dieses Jahres fielen zwei Menschen auf Bangka Krokodilattacken zum Opfer. Vier weitere wurden verletzt. Hinzu komme eine hohe Dunkelziffer, denn viele Angriffe würden gar nicht offiziell gemeldet, sagt Yusuf.

Auch der Fischer Arjo aus Bangka überlebte einen Angriff im Nyire River, weil er es nach eigenen Angaben mit letzter Kraft schaffte, dem Krokodil ins Gesicht zu beißen. Nach einem verzweifelten, zehnminütigen Kampf habe das Tier danach endlich von ihm abgelassen, erzählt er. Aber Arjo verlor beim Kampf mit dem Tier seine rechte Hand.
Jagd schon vor Jahrzehnten verboten
Krokodile jagen aber nicht nur Menschen; Menschen jagen auch Krokodile. Krokodilfleisch gilt als Delikatesse, und aus Krokodilleder werden teure Handtaschen, Gürtel und Stiefel gefertigt. Zahlreiche Krokodilarten sind laut WWF früher so stark bejagt worden, dass sie fast ausgestorben wären.
Indonesien hat die großflächige Krokodiljagd Ende der 1990er Jahre verboten, wodurch sich der Bestand vielerorts erholt hat. Jedoch nicht überall: Auf der dicht besiedelten Hauptinsel Java sind Salzwasserkrokodile aufgrund der weitgehenden Zerstörung ihres Lebensraums und der jahrelangen Bejagung praktisch ausgestorben.
Fehlende Warnsysteme
Auf vielen anderen Inseln bleiben die gepanzerten Tiere aber ein Riesenproblem. Denn im Gegensatz zu anderen Ländern - wie beispielsweise Australien, wo Sperrzonen und Warnsysteme helfen, Konflikte zwischen Krokodilen und Menschen zu minimieren - gibt es in Indonesien keine solchen Schutzmaßnahmen.

Gleichzeitig sind Flüsse und das Meer die Existenzgrundlage vieler Indonesier und fester Bestandteil des Alltags. Krokodilexperte Hamidy sagt: „Wir müssen Wege finden, zu koexistieren und gleichzeitig die Risiken für Mensch und Krokodil zu minimieren.“ Wie das gehen soll, ist aber noch fraglich.